„Wer hat uns verraten?“ – „Sozialdemokraten!“ – Mal wieder. So könnte man die Kritik von IG Metall-Chef Jörg Hofmann an der SPD und ihrer Ablehnung einer allgemeinen Autokaufprämie zusammenfassen. Neudeutsch ist dann von herrschender Enttäuschung, Entfremdung und einer „industriepolitischen Geisterfahrt“ die Rede. „Stinksauer“ seien die Kollegen, äußert sich auch der Gesamtbetriebsratschef von Daimler, Michael Brecht.
Die Folgen der Corona-Krise treffen den bedeutendsten Industriezweig in unserem Land, die Automobilindustrie, hart. 2019 erwirtschafteten die Unternehmen der Branche einen Umsatz von rund 435 Milliarden Euro und beschäftigten mehr als 830.000 Menschen. Das kann man nicht ignorieren und dem muss man bei der Krisenbewältigung Rechnung tragen. Die Anzahl der Neuzulassungen ist im April 2020 im Vergleich zum Vorjahresmonat massiv eingebrochen. Minus 57,8 Prozent bei den Privat- und 63,2 Prozent bei den Gewerbekunden. Da scheinen die Rufe der Konzerne und der IGM berechtigt. 3.000 Euro pro neuem „Benziner“ oder Diesel-PKW, plus 1.000 Euro extra, wenn ein altes Auto verschrottet wird, forderten die Autoländer Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen.
Also doch! „Wer hat uns verraten?“ – „Sozialde…“ – Moooment! Ganz so einfach ist es nicht. Rund zwei Drittel ihres Umsatzes erwirtschaftet die deutsche Automobilindustrie im Ausland. Hier berichtet z.B. VW, dass der europaweite Absatz um mehr als 83 Prozent eingebrochen sei. Außerhalb Europas ist der Rückgang zum Teil noch gravierender. Dieser dramatische Einbruch durch eine weltweite Krise wird sich durch eine Autokaufprämie allein in Deutschland nicht einmal im Ansatz abfedern lassen.
Hinzu kommt, dass wir im Inland einen historischen Höchststand an Kurzarbeitern verzeichnen: Selbst im Höhepunkt der Wirtschafts- und Finanzkrise waren im Mai 2009 in Deutschland „nur“ 1,44 Mio. Kurzarbeiter gemeldet. Bis zum 26. April 2020 haben die Unternehmen hingegen für 10,1 Mio. Menschen Kurzarbeit angemeldet. Das ist rund jeder vierte (!) Beschäftigte. Diese Menschen, die mit größter Sorge in die Zukunft blicken, werden im Moment anderes im Sinn haben, als sich ein neues Auto anzuschaffen. Und daran dürfte auch eine Prämie nichts ändern.
Bereits nach der Wirtschafts- und Finanzkrise hat man die Automobilindustrie zu stützen versucht: Die „Umweltprämie“, im Volksmund „Abwrackprämie“, hat jedoch gezeigt, dass sie mit 5 Mrd. Euro im Verhältnis teuer und im Ergebnis ökonomisch und ökologisch nur bedingt nachhaltig gewesen ist. Vielfach wurden Kaufentscheidungen lediglich vorgezogen, die Absatzzahlen sind danach wieder rückläufig gewesen.
Nach dem Abgasskandal, der vorsätzlichen Täuschung Tausender Kunden durch die Konzerne, fand ein zaghaftes Umdenken hin zu alternativen Antrieben statt. Zumeist aus Imagegründen. Auch in dieser (selbstverschuldeten) Krise hat der Staat seit 2016 geholfen: mit der Förderung von Elektro- und Hybridfahrzeugen. Die Konzerne konnten „weitermachen“.
2019 ist das operative Ergebnis von VW um 12,8 Prozent auf fast 20 Mrd. Euro gestiegen, die Umsatzrendite lag mit 7,6 Prozent deutlich über der prognostizierten Renditespanne. In der Folge sind auch die Dividenden deutlich erhöht worden. So berichtet das Handelsblatt im Februar 2020: „Für die stimmrechtslose Vorzugsaktie gibt es für das Jahr 2019 eine Dividende von 6,56 Euro (Vorjahr: 4,86), bei der Stammaktie geht es von 4,80 auf 6,50 Euro nach oben. Davon profitieren vor allem die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch, die rund 53 Prozent der Stammaktien halten.“
Nun kämpfen wir mit den Folgen der Corona-Krise. Jetzt soll es eine „Innovationsprämie“ richten. Und Konzerne und Gewerkschaft beschweren sich, dass konventionelle Antriebe dabei nicht gefördert werden. Mit ihrer Forderung nach einer Prämie für alle PKWs könnte die Branche gar dazu beigetragen haben, dass der Absatz zusätzlich einbricht: Einige Menschen werden ihre Kaufentscheidung in der Hoffnung auf eine staatliche Unterstützung zunächst zurückgestellt haben. Sie profitieren jetzt „nur“ von der Senkung der Mehrwertsteuer.
Die Konzerne (und in diesem Fall auch die Gewerkschaften) vergessen bei ihrer massiven Kritik eines: Die Welt entwickelt sich weiter. Ein stures Festhalten am Status Quo, ein Konservieren dessen, was ist, wird die Automobilindustrie auf lange Sicht deutlich härter treffen als die Corona-Krise. Man hat die Entwicklungen der letzten Jahre bereits eklatant ignoriert und den stattfindenden Strukturwandel verschleppt. Mit verheerenden Folgen: Liegt der Anteil deutscher Autobauer auf dem wichtigen chinesischen Markt bei Benzinern und Diesel-Fahrzeugen bei 23,2 Prozent, beträgt er bei den Elektrofahrzeugen gerade einmal 0,4 Prozent. Hier machen bereits andere das Rennen. Unter den Top 10 der meistverkauften E-Autos weltweit, findet sich kein einziges deutsches Fabrikat. Deutschland droht hier sein Standing als eine der führenden Industrie- und Exportnationen zu verspielen.
Die SPD hat sich im Koalitionsausschuss durchgesetzt und es wird keine pauschale Förderung für konventionelle Antriebe geben. Diese Haltung bringt der Partei erneut Kritik ein. Wenn die Automobilbranche das politische Signal hingegen nutzt, den Strukturwandel ernsthaft angeht und ihre Strategien überdenkt, kann ihr dieser Impuls helfen, sich für die neuen Erfordernisse des Marktes zukunftsfest zu machen. Das sichert nachhaltig Marktanteile, Gewinne – und Beschäftigung. Auf lange Sicht hat die SPD der Branche damit vielleicht einen großen Dienst erwiesen – auch, wenn sie es jetzt (noch) nicht erkennen mag.
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