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Macht die Ampel die Bauern kaputt - oder lassen wir die Kirche im Dorf?

Aktualisiert: 8. Jan.



Nachdem die Union erfolgreich gegen die Haushaltspolitik der Bundesregierung geklagt hat und nun 60 Mrd. Euro im Haushalt fehlen, musste schnell ein Sparpaket geschnürt werden. Eine Maßnahme ist dabei die Streichung des Agrardiesels und der Kfz-Steuerbefreiung für Landwirte gewesen. Innerhalb kürzester Zeit reagierten die Landwirte mit endlosen Traktorkolonnen, legten Innenstädte lahm, kippten Mist vor Büros von Abgeordneten und Parteigeschäftsstellen, errichteten Galgen an denen symbolisch die „Ampel“ erhängt wird und vieles mehr. Dafür gefeiert in den sozialen Netzwerken.

 

Anstand, Respekt und vernünftiger Umgang in einer Demokratie? Alles egal, Hauptsache es wird der Regierung im Allgemeinen und den Grünen im Besonderen mal so richtig gezeigt. Da werden dann im Überschwang auch schon mal Scheiben von Abgeordnetenbüros eingeworfen, Menschen bedroht – eine fast schon pogromartige Stimmung bricht sich Bahn. Die AfD und die Union heizen diese nach Kräften an. Extremisten träumen gar vom Umsturz. Für den 08. Januar wird zum Generalstreik aufgerufen. Man wolle „die Ampel abschalten“.  Zuletzt wurde der Wirtschaftsminister von einem Mob daran gehindert, seine Urlaubsfähre zu verlassen. Ein Gesprächsangebot des Ministers wurde abgelehnt.

 

Der Bauernverband distanziert sich „aufs Schärfste von Schwachköpfen mit Umsturzfantasien, Radikalen sowie anderen extremen Randgruppen und Spinnern“. Und doch zeigt allein schon ein Blick in die Kommentarspalten der sozialen Netzwerke, dass die Realität längst eine andere ist. Und dass der Verband auch seine Mitglieder in Teilen nicht mehr einbremsen kann.

 

Dabei ist es auch egal, dass die Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung inzwischen schon vom Tisch ist und auch der Ausstieg aus der Dieselsubventionierung nach und nach in drei Etappen gestaffelt werden soll. Die Forderungen der Landwirte stehen fest, die Pläne sollen komplett zurückgenommen werden. Am morgigen Montag soll also die große Aktionswoche starten. Viele Unternehmen und Menschen zeigen sich solidarisch: „Es reicht!“, „Es geht ums Ganze“, „Ohne Landwirte seid ihr hungrig, nackt und nüchtern!“ sind nur einige Schlagworte, welche die Runde machen. Die Landwirte haben es geschafft, die Pläne der Bundesregierung zur Existenzfrage hochzustilisieren. Doch ist dem wirklich so?

 

Der Situationsbericht des Deutschen Bauernverbandes hat für das vergangene Wirtschaftsjahr ein durchschnittliches Unternehmensergebnis von 115.400 Euro je Betrieb verkündet. Zum Vergleich: 2020/21 lag das durchschnittliche Ergebnis bei 52.100 Euro. Das ist ein Zuwachs von 121 Prozent.

 

Die umstrittene Dieselsubvention ist dabei nicht das Einzige, was Landwirte erhalten: Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums sind für dieses Jahr 486 Mio. Euro für die „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) vorgesehen, 485 Mio. Euro kostet die Befreiung von der Kfz-Steuer, 200 Mio. Euro gibt es für die „Ökosystemleistung Wald“, 150 Mio. Euro für die Förderung des Umbaus der Tierhaltung, usw. Insgesamt sind in diesem Jahr Steuervergünstigungen und Finanzhilfen von etwa 2,36 Mrd. Euro geplant.

 

Hinzu kommen Subventionen der EU. In der ersten Säule sind dies Direktzahlungen, wie die Einkommensgrundstützung von etwa 156 Euro je Hektar, eine Umverteilungsprämie für kleinere Betriebe in Höhe von 69 Euro für die ersten vierzig Hektar und 42 Euro für weitere zwanzig Hektar. Für Junglandwirte gibt es unter bestimmten Bedingungen eine Prämie von rund 134 Euro je Hektar für maximal 120 Hektar Landfläche. Daneben existiert noch eine gekoppelte Tierprämie mit 78 bzw. 35 Euro je Tier für die Sektoren Rind-, Schaf- und Ziegenfleisch. Für die Umsetzung von Öko-Regelungen werden zwischen 45 und 1.300 Euro je Hektar gezahlt. In der zweiten Säule wird die Ländliche Entwicklung gefördert. Insgesamt erhalten die deutschen Landwirte EU-Mittel in Höhe von 6,36 Mrd. Euro.

 

Damit wird die Landwirtschaft in Deutschland mit fast 9 Mrd. Euro pro Jahr subventioniert. Je nach Betrieb tragen die Subventionen mit 40 bis 60 Prozent zum Ergebnis bei.

 

Nachdem die Streichung der Kfz-Steuerbefreiung vom Tisch ist, wird nun wegen der Agrardieselbeihilfe in Höhe von 440 Mio. Euro demonstriert. Laut agrarheute hat ein Haupterwerbsbetrieb zuletzt rund 2.883 Euro an Agrardieselvergütung erhalten. Bei Klein- und Nebenerwerbsbetrieben liegt die Fördersumme, die aktuell zur Diskussion steht etwa bei 800 Euro im Jahr. Die Frage ist nun, ist das der Betrag, der die Landwirtschaft an die Wand fährt? Ich denke nicht.

 

Was viele übersehen ist, dass die Subvention mit dem Verbrauch steigt: Wer viel Diesel verbraucht, erhält viele Leistungen. Die bayerischen Vollerwerbsbetriebe haben im Schnitt nur 2.279 Euro erhalten, wohingegen Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern aufgrund ihrer Größe im Schnitt mehr als das Dreifache bekommen haben. Großbetriebe in Form juristischer Personen – sprich: Landwirtschaftskonzerne – wurden mit durchschnittlich 26.620 Euro subventioniert.

 

Das heißt auf meine Region heruntergebrochen, meine oberfränkischen Nebenerwerbslandwirte demonstrieren morgen dafür, dass Großbetriebe und Landwirtschaftskonzerne ein zigfaches ihrer Förderung behalten. Im Gegenzug sorgen die großen Produktionseinheiten mit ihrem Ertrag dafür, dass die Preise für alle Güter auf dem Markt tendenziell sinken. Und am Ende sind es die Großbetriebe, die nicht selten die kleineren Wettbewerber aufkaufen. Das wäre in etwa so, wie wenn ein Tante-Emma-Laden für den Erhalt von Subventionen für den Discounter demonstriert, der ihn am Ende die Existenz kostet.

 

Warum demonstrieren die Landwirte nicht für eine höhere Umverteilungsprämie? Warum setzen sich die Verbände nicht für ihre Kleinbetriebe stärker ein? Warum wird nicht vor den Konzernzentralen der Discounter gestreikt, die den Erzeugern immer niedrigere Preise diktieren? Stattdessen demonstriert man gegen eine Bundesregierung und macht sich in Teilen mit einer AfD gemein, die aus der EU austreten und alle Subventionen per se abschaffen möchte. Das wäre wirklich der Tod der Landwirtschaft.

 

Gleichzeitig freuen sich die Landwirte über eine große Solidarität in der Bevölkerung. Aber wo ist denn diese Solidarität und die Wertschätzung im Alltag? Wer kauft denn wirklich direkt vom Landwirt oder regional? Und wer greift im Regal lieber zum Billigimport? Wie oft wird denn gegen neue Ställe oder Kuhglocken geklagt? Wie oft werden Landwirte denn angepöbelt, wenn sie Gülle ausgefahren haben und es nach „Landluft“ riecht? Oder wenn sie im Straßenverkehr in der Erntezeit als Hindernis wahrgenommen werden?

 

Wenn morgen demonstriert wird, wenn morgen Menschen sich aus welchen Gründen auch immer solidarisieren, dann wird diese Beweggründe niemand wahrnehmen. Sie alle werden demonstrieren, dass Großbetriebe ihre Subventionen behalten. Egal, ob sie vom Umsturz träumen oder einfach verdrossen sind von der Politik oder der Regierung.


Das wird den kleinen Landwirten nicht helfen. Es wird der Landwirtschaft insgesamt nicht helfen. Es wird kein Problem lösen. Vielleicht sollten wir doch die Kirche im Dorf lassen. Und wieder auf die Fakten schauen. Dann stellen wir fest, dass die Wahrheit zwischen „Die Ampel killt den Bauernstand!“ und „Die Sonne scheint, der Regen fällt, der Bauer schreit nach Steuergeld!“ liegt.

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