Kaum eine Woche ohne neue Negativschlagzeilen – fehlender Nachwuchs, mangelhafte Ausrüstung, keine Ersatzteile. Luftwaffenpiloten, die in ADAC-Hubschraubern üben müssen, kaum einsatzfähige Panzer oder Marineeinheiten. Hinzu kommen Probleme innerhalb der Truppe, Skandale um bizarre Aufnahmerituale, rechtsextremistisches Gedankengut und die Frage des richtigen Umgangs mit der Historie. Aktuell wird gar die Diskussion geführt, ob sich die Bundeswehr auf dem Weg in die „Unterschichtenarmee“ befindet.
Reflexartig kommt der Ruf nach mehr Geld. Doch bringt mehr Geld allein die Lösung? De facto ist der Verteidigungshaushalt im Bundeshaushalt 2018 mit 38,5 Mrd. Euro der zweitgrößte nach dem des BMAS. Sein Volumen entspricht 11,5 Prozent des Gesamthaushaltes und ist größer als das für Bildung, Forschung und Gesundheit zusammen. Gegenüber 2015 ist der Haushalt des BMVg absolut um 6,2 Mrd. Euro gewachsen – die Probleme sind es seitdem allerdings auch.
Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung wurde die Bundeswehr massiv reduziert. Personal wurde abgebaut, Kasernen wurden geschlossen, Lagerbestände aufgelöst, Wartung und Instandhaltung weitgehend outgesourct – ebenso der Fuhrpark und das Bekleidungsmanagement. Controlling und KLV gewannen zunehmend an Bedeutung. Man versuchte die Bundeswehr zunehmend wie ein Unternehmen zu führen. Die Bundeswehr hetzte von einer Reform zur nächsten, ohne das die vorherigen abgeschlossen waren. Gleichzeitig wuchsen mit dem Wandel von der Verteidigungs- zur Einsatzarmee die Aufgaben und die Anforderungen an die operative Leistungsfähigkeit.
Und dann entschloss sich Verteidigungsminister zu Guttenberg plötzlich zur Aussetzung der Wehrpflicht. Eine schwerwiegende Entscheidung, die nicht ohne weiteres zurückgenommen werden kann, die die Bundeswehr aber verändert hat, wie keine Reform zuvor. Konnte man den Bedarf der Nachwuchskräfte bis dahin weitestgehend aus dem Pool der Wehrdienstleistenden decken, so muss nun aufwändig und kostenintensiv um jedeN EinzelneN geworben werden. Die Zahl der unbesetzten Dienstposten stieg, die Anforderungen an die BewerberInnen sanken – kurz: die Bundeswehr muss fast schon nehmen, wen sie bekommt.
Um die Freiwilligen zu gewinnen, wird in Hochglanz gearbeitet: Packende Werbespots, gut in Szene gesetzt, Abenteuerlager für Interessierte, YouTube-Serien im Telenovela-Stil – jedes Mittel scheint recht. Mit ihrer Werbung erzeugt die Bundeswehr (gezwungenermaßen) ein Bild in der Öffentlichkeit (und auch gegenüber der Politik), welches mit der Realität des Dienstalltags nicht mehr viel gemein hat. Sie ist somit gefangen in der eigenen PR-Falle. Mit dem Aussetzen der Wehrpflicht hat auch die Akzeptanz der Bundeswehr in der Öffentlichkeit gelitten. Vorbei scheinen die Zeiten des integrierten „Staatsbürgers in Uniform“.
Und auch intern werden die herrschenden Zustände zu wenig thematisiert. Da werden im streng hierarchischen System der Armee für Generale oder die Ministerin Schauübungen inszeniert, dafür Material zusammengezogen, oder Musterstuben bzw. -kasernen präpariert. Es werden zu oft Potemkinsche Dörfer aufgebaut statt die herrschenden Missstände auch nach oben zu melden. Eine realistische Bewertung ist da kaum möglich.
Mehr als alle Hochglanzprospekte und mehr als Geld allein es vermag, würde eine ehrliche und offene Debatte über den Zustand der Bundeswehr und die Akzeptanz der Truppe in der Bevölkerung weiterhelfen. Dies wäre auch ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber den Männern und Frauen, die Deutschland unter widrigen Umständen dienen. Erst nach einer solchen Debatte und einer aufrichtigen Bestandsaufnahme wird man die Situation im Bereich der Ausrüstung und Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessern und die richtigen Prioritäten setzen können. Genau dieses sind wir unseren Soldatinnen und Soldaten aber schuldig.
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