
Ich möchte mit etwas Positivem beginnen. Die Wahlbeteiligung war mit 82,5 Prozent so hoch wie seit knapp 40 Jahren nicht mehr. Allen Parteien, mit Ausnahme der FDP, ist gelungen, Nichtwähler zu mobilisieren. Wenn so viele Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme abgeben, am Ende mehr als 49,6 Mio. Zweitstimmen, dann ist das positiv. Wahlen als Hochfest der Demokratie.
Weniger gefallen hat den Meisten, dass die Mobilisierungsfähigkeit unterschiedlich stark gewirkt hat. Die Zuspitzung des Wahlkampfes nach Merz´ Tabubruch und eine, durch mehrere Anschläge, aufgeladene Migrationsdebatte auf der einen Seite und das Vernachlässigen von Markenkernen auf der anderen, haben die politischen Ränder gestärkt: So konnte die AfD unglaubliche 1,81 Mio. Menschen wieder an die Wahlurnen bewegen, das BSW 400.000. Die anderen Parteien, also CDU, CSU, SPD, die Grünen und die Linke schafften zusammen „nur“ 1,55 Millionen. Die FDP hat als einzige rund 40.000 Wähler in die Wahlenthaltung verloren. Damit sind mehr als 3,7 Millionen Menschen mehr zur Wahl gegangen als 2021. Das ist an sich gut.
Freuen konnte sich am Ende am meisten die AfD. Neben den Nichtwählern hat sie 1,9 Millionen Stimmen aus dem konservativ-bürgerlichen Lager, sprich von Union und FDP erhalten. Aus dem linken Spektrum, von SPD, Grünen und Linke, 930.000 Stimmen.
Die Union um Friedrich Merz hat sich vor den laufenden Kameras gefreut. Man habe die Wahl gewonnen. Sobald die Kamera weggeschwenkt ist, war die Freude jedoch schnell verflogen. Wie Wahlsieger sahen Merz, Söder und ihre Anhänger nicht wirklich aus. Das Wahlziel von 30 Prozent plus X wurde klar verfehlt. Es war am Ende das zweitschlechteste Ergebnis bei Bundestagswahlen. Die FDP um Christian Lindner ist gar aus dem Bundestag geflogen. Das Kalkül von den Bürgerinnen und Bürgern für das Sprengen der unbeliebten Ampel-Koalition an der Urne belohnt zu werden, schlug fehl. Mit jeder neuen Hochrechnung entfernte man sich weiter von der Fünf-Prozent-Hürde. So wurde der Wahltag für die Liberalen ihr persönlicher D-Day, ihr Desaster-Tag. Lindner erklärten noch am Abend seinen Rückzug aus der Politik. Soll jemand anderes den Scherbenhaufen aufräumen, den er hinterlassen hat.
Die SPD musste einen erneuten Tiefschlag hinnehmen. Die Aufholjagd, so wie 2021, blieb weitestgehend aus. Am Ende steht mit 16,4 Prozent das historisch schlechteste Ergebnis. Sie verliert, auch aufgrund des neuen Wahlrechts, 86 von 206 Mandaten. Gleichzeitig gab man ihr die Hauptschuld an der schlechten Performance der Ampel-Regierung. Die Grünen, welche im Verhältnis weniger verloren haben, büßen 33 Sitze ein. Für das BSW hat es am Ende knapp nicht gereicht. Der kometenhafte Aufstieg der neuen Partei ist in Teilen bereits schon wieder verglüht. Ob die angestrebte bzw. angedachte Klage gegen das Ergebnis daran etwas ändern wird, bleibt abzuwarten.
Jubel gab es hingegen bei der Linken. Diese galt wenige Wochen vor der Wahl bereits als abgeschrieben. Unter dem Codenamen „Aktion Silberlocke“ sollten es die Oldies richten. Nach der viral verbreiteten Wutrede von Heidi Reichinnek konnte sich die Partei vor Eintritten kaum retten und am Ende trotz leichter Verluste in Richtung AfD und BSW mehr als 1,2 Mio. Stimmen mehr erzielen als 2021.
Der unbestreitbare Sieger der Wahl ist jedoch die AfD. Das lässt sich nicht wegdeuten, egal, wie sehr es schmerzt. Da war es egal, dass die Partei im Wahlkampf an sich schlecht performt hat, dass das Wahlprogramm die „kleinen Leute“ am stärksten belastet und die Reichen am meisten entlastet, dass am Ende 181 Mrd. Euro im Haushalt fehlen würden. Es war egal, dass Kirchen, Sozialverbände, Gewerkschaften und sogar die Wirtschaftsverbände und -forschung vor der Partei gewarnt haben. Sie ist die Partei Ostdeutschlands und sie ist faktisch Arbeiterpartei. Und sie ist in weiten Teilen rechtsextrem.
Was sagt uns das?
Eine Zuspitzung von Themen kann zusätzliche Wählerinnen und Wähler mobilisieren. Der alte Grundsatz, dass eine hohe Wahlbeteiligung automatisch die Ränder schwächt, gilt jedoch nicht mehr – ganz im Gegenteil. Gefreut haben sich darüber das BSW und vor allem die AfD.
Die Bürgerinnen und Bürger wählen am Ende immer das Original. Egal, wie sehr die Union von der AfD kopiert oder sogar mit ihr gemeinsam abstimmt, am Ende gehen die Stimmen nach Rechtsaußen. Was leider keine neue Erkenntnis ist. Sie ändert sich jedoch auch nicht durch regelmäßige Missachtung.
Das monothematische Fokussieren auf ein Thema, in diesem Fall Migration, verstärkt die Echokammern der AfD. Gleichzeitig gehen Kernbotschaften der anderen Parteien, wie zum Beispiel das Soziale bei der SPD, unter. Sie hat hier aktuell die niedrigsten Kompetenzzuschreibungen in der Geschichte der Bundesrepublik, obwohl das eigentlich ihr Markenkern ist.
Soziale Netzwerke sind eben nicht nur Beiwerk. Sie bedürfen einer nachhaltigen und konsequenten Strategie. Diese muss entsprechend professionell umgesetzt werden – auch wenn dies Zeit und Geld kostet. Reichinnek hat damit nach ihrer Brandmauerrede massiv mobilisieren können. Die AfD konnte mangels Organisationsstruktur allein nur durch diese Netzwerke wachsen. Die anderen Parteien haben hier zwar ihre Angebote ausgebaut, liegen aber – wie bei der Geschichte vom Hasen und vom Igel regelmäßig abgeschlagen im Feld. Am Ende heißt es: "Ick bün all hier!" ("Ich bin schon da!").
Wahlkampf in Zeiten des Populismus braucht neue, klare Spielregeln. Die demokratischen Parteien hatten sich darauf an sich zu Beginn des Wahlkampfes verständigt. Diese sinnvollen Absprachen helfen jedoch nicht, wenn sie eine so kurze Halbwertszeit haben, wie es bei dieser Wahl dann faktisch der Fall gewesen ist.
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