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„Denn das Herz dieses Volkes ist verfettet…“ – Deutschland nimmt bis zu 150 minderjährige Flüchtling


Das Flüchtlingslager von Moria ist niedergebrannt. Vermutlich angezündet von einigen Ge­flüch­teten – aus Protest gegen die dort herrschenden Bedingungen. Oder in der Hoffnung, dass man endlich reagiert und etwas an ihrer Situation ändert. Jetzt haben zehn Mit­glieds­staaten der EU erklärt, dass sie gemeinsam 400 unbegleitete Jugendliche aufneh­men wol­len, Deutschland davon zwischen 100 und 150.


Da zünden Flüchtlinge ihr Lager an und wir nehmen in der Konsequenz 150 Kinder bei uns auf? Das ist ein Skandal! – Sofort laufen die üblichen Filterblasen über. Da wird geschrieben: „Ein Hohn für die vielen Rentner, die hier ein Leben lang gearbeitet haben, und an der Ar­mutsgrenze leben.“ Oder es wird auf ein „paar Millionen Arbeitslose, Kurzarbeiter, Obdachlose, kaputte Schulen und Straßen verwiesen“. Das wird von Menschen ins Feld geführt, deren Timelines voll sind von Bildern schöner Fernreisen, großer SUVs und anderer annehmlicher Dinge unserer Wohlstandsgesellschaft ge­sell­schaft. Eine Frau weist darauf hin, dass ja dann die Familien nach­ziehen dürften und man sich „Tausende von diesen Schmarotzern und Kriminellen“ ins Land holen würde. In ihrem Face­book-Profil teilt sie gleichzeitig massenhaft Posts von Tierwohl- und Tier­hilfevereinen und bedauert die armen Kätzchen und Hunde.


Das Mitgefühl ist in vielen Fällen einer populistischen, plumpen Hetze gewichen. Als ob diese Geflüchteten schuld daran wären, dass über Jahrzehnte hinweg nicht ausreichend in Schulen und andere öffentliche Einrichtungen investiert worden ist oder dass unsere Straßen an vielen Stellen marode sind. Daran, dass Sozialleistungen gekürzt worden sind oder dass es Obdachlosigkeit und Altersarmut in unserem Land gibt. Richtig ist, diese Probleme sind existent. Und sie sind in vielen Fällen ein Skandal. Gleichzeitig sind die privaten Vermögen in Deutschland Ende 2019 auf 6.465,4 Milliarden Euro und damit auf den höchsten Stand in der Geschichte unseres Landes gestiegen. Wenn es ein Problem gibt, dann liegt es daran, dass von dieser Entwicklung zu viele nicht profitieren. Das wäre ein Skandal, den man zu Recht thematisieren könnte.


Stattdessen regen wir uns über die Aufnahme von 150 Kindern auf.


Stattdessen gehen in Deutschland Tausende Menschen auf die Straße, um gegen eine „Corona-Diktatur“ zu de­mon­strieren. Da wird das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes als unzumutbare Belastung, das Ein­halten von Abstandsregeln als Willkür und eine unter Umständen verordnete zweiwöchige Quarantäne als Freiheitsberaubung dargestellt. Wenn aber 13.000 Menschen in einem Lager, welches gerade einmal für 2.800 Personen ausgelegt ist, über Monate unter widrigsten Bedin­gungen dahinvegetieren oder Hunderte im Mittelmeer ertrinken, dann ist uns das egal.


Wo bleibt die Empathie mit den Menschen, die aus größter Not ihre Heimat verlassen (mussten), die vor Krieg, Zerstörung, Vergewaltigung und Mord geflohen sind? Die sich auf ei­ne Tausende Kilometer lange, ungewisse Reise begeben haben, in der Hoffnung auf Frieden, Freiheit und ein besseres Leben?


Es ist ein Skandal! Es ist skandalös, dass – fünf Jahre nach dem Tod Alan Kurdis – immer noch über jedes einzelne Schiff mit geretteten Menschen zum Teil wochenlang diskutiert wird. Dass es immer noch keinen europäischen Konsens gibt, wie die Geflüchteten zu verteilen sind. Es ist skandalös, dass es immer noch keine Perspektiven und Konzepte zur nachhaltigen Ver­bes­serung der Situation in den Herkunftsländern gibt. In Moria hat nicht nur ein Flüchtlingslager gebrannt: Es war ein Symbol des Zauderns, des Ignorierens, des Scheiterns einer ganzen Wertegemeinschaft.


Zu sehr lassen sich die Regierungen anscheinend europaweit von der Angst des erstarkenden Populismus und der politischen Rechten treiben. Dabei wäre es an der Zeit, dass wir alle miteinander umdenken. Und der Wahrheit ins Gesicht blicken: Wir werden von unserem Wohlstand abgeben müssen. Wir werden lernen müssen, zu teilen!


Ende 2019 waren weltweit rund 79,4 Millionen Menschen auf der Flucht. Diese Zahl hat sich in nicht einmal zehn Jahren verdoppelt. Dabei waren davon 45,7 Millionen Menschen Binnen­flüchtlinge innerhalb desselben Landes. Die Weltbank prognos­ti­ziert bis 2050 in der Folge des Klimawandels 140 Millionen zusätzliche Flüchtlinge durch Dürren, Missernten und Sturm­fluten. Und das ist noch eine der „optimistischeren“ Vorhersagen. Andere Prognosen, wie die des Weltklimarates, sprechen von bis zu 300 Millionen Flüchtlingen – und mehr. Wegen der groß­flächig betroffenen Gebiete wird es verstärkt zu Fluchtbewegungen über Länder- und Kontinentalgrenzen hinweg kommen.


Fakt ist, die Verbesserung der Situation in den Herkunftsländern wird Geld kosten. Ent­wicklungshilfe wird Geld kosten. Klimaschutz wird Geld kosten. Die Versorgung und Inte­gration von Flüchtlingen wird Geld kosten. Aus der Verantwortung stehlen, können wir uns nicht, sind wir doch – alle miteinander in den Industrienationen – hauptverantwortlich für die aktuellen Entwicklungen und zunehmenden Verwerfungen. Umso wichtiger ist die Frage, der Ausgestaltung und des sozialen Ausgleichs. Denn nur, wenn dieser gelingt, können wir es im Ansatz schaffen, dauerhaft den sozialen Frieden (nicht nur) in unserem Land zu wahren.

Wenn wir uns weiter so verhalten, wie es bei Matthäus nachzulesen ist, dann wird uns das allerdings nicht gelingen. Bei Matthäus 13,15 heißt es: „Denn das Herz dieses Volkes ist verfettet, und mit ihren Ohren hören sie schwer, und ihre Augen haben sie geschlossen, auf dass sie nicht mit den Augen sehen und mit den Ohren hören und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren, dass ich sie heile.“


So gesehen bin ich froh, dass zumindest ein paar Staaten bereit sind, zumindest die unbegleiteten Jugendlichen aufzunehmen. Diese können am allerwenigsten für die Zustände vor denen sie geflohen sind und in welchen sie jetzt leben müssen. Ein paar Wenige, die nicht die Augen und Ohren verschließen – auch wenn sie dafür angefeindet werden.

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