Im zweiten Quartal 2020 ist die deutsche Wirtschaft um 10,1 Prozent eingebrochen. Das übertrifft sogar den Höhepunkt der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2009 als ein Rückgang von 7,9 Prozentpunkten zu verzeichnen gewesen ist. Viele Unternehmer und Soloselbstständige blicken mit größter Sorge in eine ungewisse Zukunft. 6,7 Mio. Menschen befinden sich in Kurzarbeit. Das sind die dramatischen Folgen des Lockdowns, mit welchem man auch in unserem Land die Pandemie einzudämmen versucht hat.
Wenn man den Vergleich mit anderen Nationen zieht, gerade mit den USA Trumps, Putins Russland oder dem Brasilien Bolsonaros, dann haben wir die Situation bis dato dennoch gut gemeistert. Selbst im Vergleich zu Italien oder der zwischenzeitlichen Situation im Elsass. Die getroffenen Maßnahmen und deren Akzeptanz durch die Bevölkerung, die Geschlossenheit und Solidarität untereinander, haben verhindert, dass unser Gesundheitssystem der Zahl der Erkrankten nicht mehr Herr geworden ist. Uns blieben, bei allen Belastungen, Zustände erspart, in denen Ärzte entscheiden mussten, wer den letzten Beatmungsplatz erhält. Dass Menschen zum Sterben aus den Kliniken nach Hause geschickt werden. Dass das Militär Leichname in Kolonnen abtransportieren oder diese in Massengräbern bestattet werden mussten. Auch deshalb konnten viele Maßnahmen gelockert werden: Es bleibt im Wesentlichen bei der AHA-Regel: Abstand wahren, Hygiene beachten, Alltagsmaske tragen. Und genau dies scheint für zu viele eine Zumutung zu sein, ein zu drastischer Einschnitt in ihre Freiheitsrechte. Nachlässigkeit macht sich breit.
Die Demonstranten skandierten „Freiheit“, „Widerstand“, „Maske weg!“, „Wir sind die zweite Welle“. Es ist eine doppelt brisante Mischung – inhaltlich, wie quantitativ: 17.000 Menschen, aus ganz Deutschland, weitgehend ohne Mund-Nasen-Bedeckung und ohne ausreichenden Abstand. Sie drohen Berlin zu einem Demo-Ischgl werden zu lassen. Mit unberechenbaren Folgen – für die Wirtschaft und vor allen Dingen für die Gesundheit der Menschen im Land. Unter ihnen finden sich Verschwörungstheoretiker, AfD-ler, Rechtsextremisten, Antisemiten. Wahlweise werden Bill Gates, die Juden oder gar eine umfassende Weltverschwörung verantwortlich gemacht. Die Demo, auch von rechtsaußen beworben, fand unter dem Titel „Das Ende der Pandemie – Tag der Freiheit“ statt. „Tag der Freiheit“ lautete auch der Titel der nationalsozialistischen Filmemacherin Riefenstahl über den Reichsparteitag der NSDAP 1935. Dass die Demonstration wegen Verstößen gegen die Hygieneauflagen beendet werden musste, wird vermutlich gleich als neuer Beleg der „Corona-Diktatur“ ins Feld geführt und als Zensur gewertet.
Während am 01. August die WHO einen neuen Negativrekord vermeldet, wonach sich binnen eines Tages weltweit 292.000 Menschen mit dem COVID19-Virus infiziert haben, verweist das RKI auch in Deutschland auf wieder steigende Zahlen. Hier wurden 955 Neuinfektionen registriert – der höchste Wert seit dem 17. Juni. Fast zeitgleich demonstrieren in Berlin nach Polizeiangaben 17.000 Menschen gegen die noch bestehenden Schutzmaßnahmen und verkünden das Ende der Pandemie. Aufgerufen hatte die Stuttgarter Initiative „Querdenken 711“. Ursprünglich hatten die Veranstalter in den sozialen Netzwerken bis zu 500.000 Demonstranten angekündigt, und Medienberichten zufolge, geäußert, dass es daran liegen würde, dass Merkel Zufahrtsstraßen und Zugverbindungen nach Berlin hat sperren lassen, falls diese Zahl nicht erreicht werden würde.
Dabei erinnern die selbst ernannten Corona-Rebellen an die PEGIDA-Bewegung, die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes, welche in der Spitze bis zu 25.000 Menschen in Dresden auf die Straße brachten. Auch diese war ein wildes Sammelsurium aus Menschen, die angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen verunsichert waren, aus Populisten, Rechtsextremisten, Neonazis und Unzufriedenen. Aus Menschen, die ihre Freiheit und ihren Wohlstand in Gefahr sahen, der Regierung und den Medien Lügenkampagnen vorwarfen. Die zum Widerstand aufriefen. Die sich bedroht sahen. Von einer Meinungsdiktatur sprachen.
In beiden Fällen machten und machen sich die Demonstranten durch Vermischung der verschiedenen Akteure unweigerlich mit der politischen Rechten gemein. Und diese damit auch immer wieder ein Stück salonfähiger. Beide Gruppierungen, PEGIDA wie auch die Corona-Rebellen, konnten und können dabei mit ihrer Agenda bis weit in die Mitte der Gesellschaft vordringen. Das macht es gefährlich.
Und noch eine Gemeinsamkeit gibt es: Hinter den Freiheitsrufen steht letzten Endes nichts anderes als blanker Egoismus, ein „Ich zuerst“. Quasi Trumps „America first“ auf der Mikroebene. Es geht darum, dass man nicht bereit ist, sich aus Rücksicht auf andere einzuschränken. Oder Verantwortung für andere zu übernehmen. Das galt und gilt für Flüchtlinge, welche man dann lieber im Mittelmeer ertrinken oder in Lagern unter unwürdigen Zuständen dahinvegetieren sieht – begleitet von hämischen Kommentaren – ehe sie die den eigenen Wohlstand gefährden können. Und es gilt jetzt und heute für das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes oder den Verzicht auf Großevents ohne Mindestabstand. Auch wenn man mit diesem Verhalten andere gefährdet.
In beiden Fällen sterben am Ende Menschen.
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