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Alle Räder stehen still, wenn es der Weselsky will...


 

Das erste Mal schreibe ich einen Blog-Beitrag quasi als Auftragsarbeit. Eine meiner Leserinnen fragte mich nach meiner Meinung zu den aktuellen Streikankündigungen bzw. der Streikwelle der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Und ich musste tatsächlich überlegen, wie ich zum aktuellen Tarifstreit stehe.

 

Im „Bundeslied“ von Georg Herwegh, einem Gedicht für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, heißt es „Mann der Arbeit, aufgewacht | Und erkenne deine Macht | Alle Räder stehen still | wenn dein starker Arm es will“. Es ist ein Kampflied der Arbeiterbewe­gung. Es strotzt vor Selbstbewusstsein, vor anpackendem Elan und Kampfeskraft.

 

Und dann sieht man die Gewerkschaften, die von 1950 bis 2020 massiv an Schlagkraft verloren haben. Lag der Organisationsgrad zu Beginn der 50er-Jahre bei fast 40 Prozent so ist er insbesondere seit der Wiedervereinigung rapide gesunken, auf rund 18 Prozent 2021. Auch wenn die Gewerkschaften in den letzten Jahren wieder einen erfreulichen Mitgliederzuwachs verzeichnen konnten, sind sie weit entfernt von alter Größe und Stär­ke. Zu sehr hatte man sich in den vergangenen Jahrzehnten überreden lassen, sich in Mäßi­gung zu üben, um Jobs nicht zu gefährden. Am Ende standen zu oft Reallohnverlust und die Jobs waren nicht selten trotzdem wegrationalisiert.

 

Wie aufmunternd ist es da, den Streik bei den Eisenbahnern zu sehen. Denn da stehen wirklich noch „alle Räder still, wenn dein starker Arm es will“. Anders als in anderen Be­rei­chen ist trotz aller Rationalisierungen, trotz Digitalisierung und moderner Technik, bei der Bahn vieles am Ende doch noch menschliche Arbeit. Da springt das sozialdemo­kra­ti­sche Herz ein wenig in die Höhe. Es klingt noch nach klassischem Arbeiter- und Klassen­kampf.

 

Und doch mischt sich bei der Bahn ein wenig ein fahler Beigeschmack unter – zumindest für mich als außenstehenden Nicht-Bahner. Warum gibt es bei der Bahn zwei Gewerk­schaf­ten? Da gibt es zum einen die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Diese geht zurück bis auf den 1867 gegründeten Verein Deutscher Lokomotivführer. Eine alte, stolze Gewerkschaft. Und dann gibt es die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Diese ist erst 2010 aus der Zusammenlegung von Transnet und GDBAentstanden, steht aber in der Tradition des VdED, des Verbandes der Eisenbahner Deutschlands, 1896 gegründet. Nicht ganz so alt, aber auch ehrwürdig. Die EVG hat aktuell rund 185.000 Mitglieder, die GDL fast 40.000. Beide konkurrieren miteinander.

 

Und vielleicht entsteht dadurch eben dieser fahle Beigeschmack. Denn man hat stel­len­weise den Eindruck, dass es vor allem darum geht, den Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern zu zeigen, wer die bessere Gewerkschaft ist. Wer am Ende mehr raus holt, oder platt formuliert, wer die dickere Hose hat. Hier hat die EVG die Nase vorn, mehr Mitglieder und mehr Einfluss. In den 300 Betrieben der Deutschen Bahn werden in 18 die Verträge der GDL angewendet und in der großen Mehrheit von 282 die der EVG.

 

Seit 2008 ist Claus Weselsky Vorsitzender der GDL. Seine Mission und sein Antrieb scheinen zu sein, der Welt und sich selbst zu beweisen, dass die GDL die bessere Gewerkschaft ist. Schon 2011 hat seine Gewerkschaft mit einer Streikwelle große Teile des Bahnverkehrs lahmgelegt. Zwischen Herbst 2014 und Mitte 2015 schickt er seine Mitglieder gleich neunmal in eine regelrechte Streikphalanx. Über 400 Stunden wurde der Zugverkehr lahmgelegt, vor allem auch der Nahverkehr. Zulasten unzähliger Pendlerinnen und Pend­ler. In Spitzenzeiten fielen zudem drei Viertel aller Fernzüge aus. 2021 folgte die nächste Streikwelle. In insgesamt drei Wellen fielen knapp 300 Stunden im Güterverkehr und mehr als 200 Stunden im Personenverkehr Züge aus. Ende 2023 beginnend, wird schon wieder gestreikt. Im November. Im Dezember. Im Januar. Und nun werden weitere Streiks angekündigt.

 

Fast könnte man meinen, das alte Kampflied müsste heute lauten: „Alle Räder stehen still, wenn es der Weselsky will“. Zu autokratisch wirkt sein Auftreten an vielen Stellen –  und sein Führungsstil. Zu sehr hat man den Eindruck, dass es stellenweise eben mehr um eine Auseinandersetzung zwischen den Gewerkschaften geht als um einen Tarifstreit. Dass es auch um darum geht, sich selbst ein Denkmal zu setzen.

 

Und dafür dürfte vielen Betroffenen, vor allen den zigtausenden Pendlerinnen und Pendlern, zunehmend das Verständnis fehlen. In Zeiten einer gewünschten und vermutlich auch sinnvollen Verkehrswende, wird genau diese gefährdet, wenn die Bahn, welche ohnehin schon mit einem milliardenschweren Investitionsstau, mit Frühling, Sommer, Herbst und Winter, Fachkräftemangel und vielem anderen zu kämpfen hat, zusätzlich durch Machtkämpfe und -demonstrationen an Attraktivität verliert.

 

So muss Weselksy am Ende aufpassen, dass sein Kampf, wofür auch immer, am Ende nicht zum Pyrrhussieg wird. Das Streikrecht ist ein wichtiges und hohes Gut. Es ist ein scharfes Schwert, gerade bei der Bahn. Aber wer zu oft davon Gebrauch macht, darf sich nicht wundern, wenn die Schneide am Ende stumpf wird.

 

 

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